Stefan Ziller

GRÜN für Marzahn, Biesdorf, Kaulsdorf, Mahlsdorf und Hellersdorf

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Zukunft des Wohnungsbestandes Hellersdorf – Rekommunalisierung oder Genossenschaft?

BündnisGrüne laden ein:

Zukunft des (insolventen) Wohnungsbestandes Hellersdorf – Rekommunalisierung oder Genossenschaft?

Wann: Montag, 15. November 2010, 19 Uhr
Wo: Baukasten am U-Bhf Hellersdorf

Mit: Andreas Otto, wohnungspolitischer Sprecher der bündnisgrünen Fraktion im Abgeordnetenhaus

Hintergrund zur Situation der insolventen Wohnungsbestände in Mahrzahn-Hellersdorf

Die Entwürfe für das Europaviertel

Eigentlich sollte die Kunst zu den Hellersdorfern kommen, nun kam die Kapitalkrise.“ schreibt die taz bezugnehmend auf das im Herbst 2006 geplante Europaviertel im Herzen Hellersdorf und beschreibt damit treffend die Baustelle, die die bankrotte Immobiliengesellschaft Level One nach ihrer Insolvenz hinterlassen hat.

Geplant war Großes: Sechs Wohnblöcke an der Hellersdorfer Promenade sollten von Grund auf saniert und zum größten Kunstwerks der Welt, dem „Europeum“ werden. Mit dem Versprechen einer Einkaufsmeile mit internationalem Flair (dem „Boulevard der Nationen“), ins Gesamtkonzept eingebettete Grünanlagen, sowie der Schaffung von bis zu 2000 neuen Arbeitsplätzen und einer Ausbildungswerkstatt versuchte der Investor AnwohnerInnen, BesucherInnen und Gewerbetreibende für das Projekt zu gewinnen. Auch kulturelle Veranstaltung wie der „internationale Weihnachtsmarkt“ sollten dem Viertel einen neuen Reiz geben. Mit Hilfe der Illusionsmalerei sollte eine Gruppe französischer und Berliner Künstlerinnen und Künstler die Außenfassade in ein riesenhaftes Kunstobjekt verwandeln und so zum Blickfang im Bezirk machen. Realisiert wurde lediglich 2007 die „Deutsche Fassade“ entlang der Stendaler Straße.

Doch wer steckt hinter diesem Großprojekt? Unterstützt wird die österreichische Immobilienholding Level One mit Sitz in London und auf der „Steueroasen“-Insel Jersey unter anderem durch das Schweizer Finanzdienstleistungsunternehmen Credit Suisse und Banken wie J.P.Morgan oder die Royal Bank of Scotland. Durch deren Milliardenkredite ist Level One zu 90% fremdfinanziert und es gehört zum Konzept des Investors Cevdet Caner (nicht nur in Deutschland) im großen Stil günstige Wohnungen aufzukaufen und mit diesen auf dem Kapitalmarkt zu handeln. So kaufte er beispielsweise seit 2005 rund 28. 000 Wohnungen im Raum Berlin und Ostdeutschland auf. Dazu gehören unter anderem die betroffenen sechs Wohnblöcke in Hellersdorf. In das „Europaviertel“ versprach Level One 15 Millionen Euro zu investieren.

Eine der größten Immobilienpannen Deutschlands

Der Börsengang Level Ones im März 2007 scheitert und lässt die Holding finanziell ins Schlittern geraten. Nach dem Platzen der Spekulationsblase am Immobilienmarkt sitzt Level One nur drei Jahre nach der Gründung auf einem Berg von rund 1,5 Milliarden Euro Schulden.

Nachdem die Immobiliengesellschaft, zu der knapp 200 Gesellschaften gehören, zunächst im September 2008 vorläufig Insolvenz beantragt, den Antrag jedoch kurz darauf wieder zurückzieht, gibt es schon im Januar 2009 endgültig keinen anderen Ausweg mehr. Allein in Berlin sind laut dem Berliner Mieterverein über 7.300 Wohnungen betroffen, größtenteils Plattenbaubestände in Lichtenberg, Mahrzahn und Hellersdorf.

Mehr als die allernotwendigsten Instandsetzungen darf sich unter der Zwangsverwaltung allerdings niemand ausmalen. Dringend notwendige Sanierungsarbeiten werden bis zum Sankt-Nimmerleinstag verschoben.

Auch der Berliner Senat bestätigt die Folgen der Insolvenz für den Bezirk. Auf eine Kleine Anfrage des SPD-Abgeordneten Sven Kohlmeier bezugnehmend gibt der Senat zu, dass die fehlenden Investitionen in den zwangsverwalteten Wohnungsbestand „negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Sozialstruktur haben (können). Die zurzeit fehlende Perspektive für eine Erneuerung führt zu einer Verunsicherung der Wohnungs- und vor allem der Gewerbemieter/innen.“

Wie es mit Hellersdorfer Promenade weitergehen soll, schwebt im Unklaren. Der Berliner Senat sieht eine Rekommunalisierung des Wohnungsbestandes bzw. einen Ankauf durch die Städtischen Wohnungsbaugesellschaften derzeit nicht vor.

Genossenschaften als Grüne Alternative?

Aktuelle Zahlen:

  • In Deutschland gibt es über 2000 Wohnungsgenossenschaften mit circa 2,2 Mio. Wohnungen und mehr als 3 Mio. Mitgliedern.
  • Mehr als 80 Genossenschaften in Berlin verwalten über 180.000 Wohnungen. Über 10% des Wohnungsbestandes der Stadt sind genossenschaftlich organisiert.
  • In Frankfurt (am Main) beispielsweise betragen die Wartezeiten für eine 3- bis 4-Zimmer-Wohnung ca. vier bis fünf Jahre. Listen für Neu-InteressentInnen wurden wegen des Ansturms zum Teil bereits geschlossen.
  • Bei nur 0,1 Prozent aller Insolvenzen in Deutschland handelt es sich um Genossenschaften.
  • Circa 50 Prozent der Deutschen weiß nicht, was eine Genossenschaft ausmacht. 65 Prozent aus dieser Gruppe sind der Meinung, dass die Rechtsform veraltet sei und nicht in unsere Zeit passe. Wer sich besser auskennt, sieht das anders: Dort ist die Einschätzung klar positiv. (Ergebnisse einer Studie der Universität Münster)
  • In Köln-Ehrenfeld liegt das Durchschnittsalter der Genossenschaftsmitglieder bei 67 Jahren. (Dort wohnende Angehörige nicht miteingerechnet)
  • 35,5 Prozent der Wohnungsgenossenschaften bieten ein Notrufsystem, eine Rufbereitschaft oder vernetztes Wohnen an. 24 Prozent organisieren hauswirtschaftliche Dienste. 32 Prozent kooperieren mit Trägern der Wohlfahrtspflege. (Angaben des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW)

Auch wenn die Wartezeiten für Genossenschaftswohnungen mehrere Jahre dauern und diese Wohnform in der Wirtschaftskrise immer beliebter wird, wächst gleichzeitig auch die Zahl der Gruppen und Initiativen, die sich mit der Entwicklung des Genossenschaftsmodells kritisch auseinandersetzen und eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen Werte fordern. Hier ein Überblick über einige Artikel der letzten zwei Jahre über den Zustand der Wohnungsgenossenschaften:

In ihrer Serie zur „Sozialen Stadt“ porträtiert die taz unter anderem den Mieterberater Ulf Heitmann, der Ende der 90er Jahre die Privatisierung einiger Gebäude im Prenzlauer Berg verhindert und kurzerhand mithilfe öffentlicher Fördermittel die Genossenschaft „Bremer Höhe“ gegründet hat. Stolz berichtet Heitmann von verhältnismäßig günstigen Mieten unterhalb des Berliner Mietspiegels, sicherem Wohnraum und der Freiheit, keinen Gewinn einfahren zu müssen. Problematisch sei für die Genossenschaften heute die weggefallene öffentliche Förderung, die Streichung der Eigenheimzulage und die gestrichenen zinsverbilligten Kredite. Auch die Genossenschaft „Selbstbau“ klagt über die Finanzkrise und die damit einhergehenden finanziellen Schwierigkeiten wie rapide steigende Zinsen und ungünstige Bedingungen von Banken, die diese mit dem schlechten Rating der Genossenschaft begründen.

Geradezu als einen Hype stellt die FAZ das Interesse an Wohnungsgenossenschaften dar und berichtet anhand der Situation in Frankfurt am Main über Vorteile der Genossenschaftswohnungen und den enormen Ansturm auf sie. Dividendenausschüttungen und Dauernutzungsrecht würden stetig neue InteressentInnen anlocken und die Reinvestition der Nutzungsentgelte für eine starke Identifikation bei den Mitgliedern sorgen. Nur wenige Wochen dauere es im Regelfall bis neugebaute Wohnungen AbnehmerInnen gefunden hätten. Die Nutzungsentgelte sei von Genossenschaft zu Genossenschaft unterschiedlich. Angeführt wird als Beispiel unter anderem der Volks-Bau- und Sparverein, der sich grob am Frankfurter Mietspiegel orientiert. Auch wenn der Blick nach Köln schwenkt, zeigt sich ein positives Bild – ein zufriedenes Genossenschaftsmitglied berichtet über freien Zugang zu Fitnessstudio und Partyraum, eine Kaltmiete, die 50% unter dem Mietspiegel liegt und neue Freundschaften in der Nachbarschaft. Auch das soziale Engagement der Genossenschaft in Köln-Ehrenfeld ist vorbildlich: Mehrgenerationenhäuser, Einrichtungen für die Jugendarbeit und Nachbarschaftshäuser wirken wie eine Vorzeigeprojekt. Theresia Theurl, die Leiterin des Instituts für Genossenschaftswesen an der Uni Münster, bestätigt der FAZ, dass das Sicherheitsbedürfnis vieler Menschen gestiegen sei und dass das Medieninteresse an Genossenschaften deutlich zugenommen habe. Dennoch herrsche ein großer Informationsmangel in der Bevölkerung und es müsse deutlich mehr Marketingarbeit geleistet werden (besonders in Westdeutschland).

Genossenschaften – Vergessene Ideale?“ titelt der Berliner Mieterverein in seinem MieterMagazin und spart auch die Schattenseiten dieses Systems nicht aus: Er bemängelt fehlende Mitbestimmungsmöglichkeiten, steigende Mieten und zunehmend wachsende Ähnlichkeit der Wohnungsgenossenschaften zu gewöhnlichen gewinnorientierten Unternehmen. Genossenschaftsmitglieder berichten zunehmend von Problemen wie der Verweigerung des Mietminderungsrechts oder über erpresserische Schreiben der Verwaltung, um eine Änderung des Vertrags zu bewirken und sehen sich zuweilen sogar als „lästige Störfaktoren“ behandelt. Zu Wort kommen in dem Dossier des Mietervereins auch die „Wohnungsbaugenossenschaften Berlin“, die den demokratischen Aufbau von Genossenschaften und die Möglichkeit persönlichen Engagements in Ausschüssen und Beiräten betonen. Basisdemokratische Modelle wie von der Initiative „Genossenschaft von unten“ gefordert ließen sich in der Realität nicht umsetzen. Während zufriedene GenossInnen zu Wort kommen und die soziale und integrative Funktion von vielen Genossenschaften hervorgehoben wird, die Projekte wie Gemeinschaftliches Wohnen oder Wohnen im Alter fördern, wird auch das Gegenteil aufgezeigt: „Eher ein Einzelfall ist die befremdliche Vermietungspraxis der Genossenschaft „Fortuna“. Sie vergibt ihre 4160 Wohnungen in Marzahn-Hellersdorf ausschließlich an Bewerber, die im „unbefristeten Angestelltenverhältnis“ stehen. Ein Genosse, der bereits seine Geschäftsanteile gezahlt und Wohnungsangebote bekommen hatte, sollte wieder rausgeschmissen werden, weil er ALG-II-Empfänger war. (…) bei der Neuvermietung nehme man grundsätzlich keine Empfänger von Sozialleistungen (…). Vor Gericht wurde die Zwangsauflösung der Mitgliedschaft allerdings verworfen (Amtsgericht Lichtenberg, 4. März 2009 – 11 C 245/08 –).“

Ähnliche Kritik äußert die Berliner MieterGemeinschaft und zweifelt an deren Eignung als soziale Wohnungsbauunternehmen. Sie befürchtet, dass der Genossenschaftsgedanke lediglich missbraucht wird und so über die Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus hinweggetäuscht werden soll: „Der soziale Wohnungsbau wurde in Deutschland hingerichtet, die Gemeinnützigkeit abgeschafft, die Bestände der ehemals gemeinnützigen Gesellschaften mit Nachdruck privatisiert und man entdeckte die sozialen Qualitäten der Genossenschaften um die entstandene Lücke auszufüllen.“

Auch die Arbeitsgruppe Sisyphus im Verein „Zentrum Moderner Orient“ in Berlin hat für den Mietenkongress der Grünen einen Beitrag zur heutigen Situation der Wohnungsbaugenossenschaften „zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ verfasst. Klug und in bedachten Worten wird dort der Kontrast zwischen der Selbstdarstellung der Genossenschaften und der allgemeinen Entwicklung in der Realität und damit einhergehende Gefahren analysiert.

Viele Menschen verbinden mit Genossenschaften seit jeher die Vorstellung von günstigen Nutzungsentgelten, die auch zu einer allgemeinen Senkung des Mietspiegels beitragen, sicherem Wohnraum, einem zusammengewachsenen sozialen Umfeld und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Der Autor beobachtet Tendenzen wie sie auch in den vorhergehenden Artikeln bereits thematisiert wurden: Sowohl was die Höhe der Nutzungsentgelte, das Verhältnis zwischen Genossenschaftsmitgliedern und Verwaltung und das Ausmaß der Mitbestimmungsrechte angehe, seien Wohnungsbaugenossenschaften rein wirtschaftlich orientierten Wohnungsbauunternehmen immer ähnlicher geworden. Dies komme unter anderem durch die zunehmende Vernetzung mit diesen und mit privaten VermieterInnen, was das „Renditedenken“ der Vorstände befördere. Gleichzeitig kritisiert der Verfasser mangelnde Einmischung der Genossenschaftsmitglieder und das VertreterInnen-Prinzip bei Versammlungen, das infolge der Größe vieler Genossenschaften eingeführt wurde. Auch die Aufsichtsräte müssten ihre Aufgaben (die Kontrolle des Vorstandes) wesentlicher ernster nehmen. Der Verfasser Peter Lotter beobachtet „vereinzelte Aufbrüche, Widerstände, wenn es um Art und Weise von Modernisierung, Gestaltung der Nutzungsentgelte (z.B. Wohnwertmiete) oder der Art und Weise des Umganges geht. Oder es gibt handfeste Skandale. Vorstände verschaffen sich, zum Teil mit Duldung oder in Zusammenarbeit mit Aufsichträten, Vorteile, die die gesamte Genossenschaft gefährden. Der Aufschrei ist groß, Initiativen gründen sich, Vorstände werden entmachtet, Gerichtsverfahren eingeleitet.“ Er fordert ernsthaftes Miteinbeziehen der Genossenschaftsmitglieder und Nutzung deren Fachwissen sowie eine Vernetzung mit Initiativen, die sich für eine andere Wohnungspolitik einsetzen. Vorstände sollten sich auf allen Ebenen für ein sozialverträgliches Wohnen engagieren und wieder ausführendes Organ der Interessen der Genoss*innen werden.

Quelle: „Wo dein Platz, Genosse, ist“ (taz, 13.03.10)

Quelle: Die Genossenschaft hat Konjunktur“ (FAZ, 23.07.10)

Quelle: „Die Renaissance eines Konzepts“ (FAZ, 08.08.09)

Quelle: Genossenschaften – Vergessene Ideale?“ (MieterMagazin des Berliner Mietervereins, Mai 2009);

Quelle:Genossenschaften“ (Berliner MieterGemeinschaft)

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